OLG Schleswig: Schadensersatz nur mit Verzögerung gezahlt: Kein Abzug „neu für alt"
OLG Schleswig: Schadensersatz nur mit Verzögerung gezahlt: Kein Abzug „neu für alt"
Macht der Besteller eines Bauwerks gegen den Bauunternehmer Schadensersatz geltend, so stellt sich häufig die Frage eines Abzugs „neu für alt". Denn führt die Mängelbeseitigung zu einer längeren Haltbarkeit oder zu einer Einsparung einer turnusmäßigen Renovierung, stellt dies einen Vorteil für den Besteller dar. Dies kann eine sog. Vorteilsanrechnung (Abzug "neu für alt") rechtfertigen. Hiervon aber gibt es Ausnahmen. Über einen solchen Fall hatte kürzlich das OLG Schleswig (Urteil vom 04.10.2023 - 12 U 25/21) zu entscheiden.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Bauherr beabsichtigt den Neubau eines Gebäudes mit einem Flachdach. Hierzu beauftragt er 2002 den Architekten mit den Grundleistungen der Objektplanung der Leistungsphasen 1 bis 9 nach § 15 HOAI (1996). Bei der Ausführung werden die Flachdachabläufe nicht so eingebaut, dass sie anstauendes Niederschlagswasser ausreichend ableiten könnten. Dies hat der Architekt im Rahmen der Objektüberwachung pflichtwidrig nicht festgestellt. Es ist eine umfassende Sanierung notwendig, die zu einem ganz überwiegend neu hergestellten Flachdach führt. Der Bauherr verlangt vom Architekten rund 100.000 Euro zur Mängelbeseitigung als Vorschuss. Der Architekt wendet ein, der Bauherr erhalte ein neues Dach und müsse sich die entsprechend längere Lebensdauer als Vorteil anrechnen lassen.
Das OLG Schleswig entscheidet, dass der Architekt wegen eines Überwachungsfehlers auf Schadensersatz haftet. Die Höhe des Schadensersatzes bemesse sich nach § 249 BGB: Beabsichtige der Besteller eine Mängelbeseitigung, seien die hierfür erforderlichen Kosten zu erstatten, andernfalls sei der Minderwert zu ersetzen. Ungeachtet der Frage, welchen Schaden der Besteller ersetzt verlangen könne, müsse der Grundsatz des Schadensersatzrechts berücksichtigt werden, dass der Geschädigte durch den Schadensersatz so gestellt wird, als wäre das schadenstiftende Ereignis nicht eingetreten. Es solle aber insbesondere keine Überkompensation, also eine Besserstellung, erfolgen. Der Geschädigte solle einen Ausgleich der Nachteile erhalten, aber keinen Vorteil aus dem Schadensereignis ziehen. Dies wäre aber der Fall, wenn er durch den Schadensersatz eine aufwändigere und teurere Art der Ausführung erhalten würde, als er sie nach dem Bauvertrag hätte verlangen können. Gleiches gelte, wenn sich durch eine Mängelbeseitigung die Lebensdauer des Daches verlängere: Hätte das in 2002 hergestellte Dach ursprünglich eine Lebensdauer bis 2022 gehabt, durch die späte Sanierung in 2020 aber nun eine Lebensdauer bis 2040, würde der Besteller durch das Schadensereignis bessergestellt, als wenn die Leistung von vorneherein mangelfrei gewesen wäre und damit besser als ohne Schadensereignis. Die Vorteilsanrechnung wegen „neu für alt" müsse dem Geschädigten zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unbillig entlasten. Eine unbillige Entlastung wäre anzunehmen, wenn der Schädiger die Sanierung (in Form der Mängelbeseitigung oder des Schadensersatzes) verzögere; hieraus solle er keinen Vorteil ziehen. Der Abzug „neu für alt" könne auch dadurch kompensiert werden, dass der Besteller bis zur Sanierung mit den negativen Auswirkungen des Mangels leben musste. Hat der Besteller über Jahre mit einem eingeschränkt funktionsfähigen Werk gelebt, so hat er Einschränkungen hinnehmen müssen, die den Vorteil der längeren Lebensdauer ausgleichen und damit verrechnet werden.
Fazit: Die Vorteilsanrechnung ist kein Automatismus, sondern eine Frage des Einzelfalls. Es handelt sich um ein Gebot von Treu und Glauben: Die Anrechnung muss dem Geschädigten zumutbar sein; der Schädiger soll nicht unbillig entlastet werden. Es müssen deshalb stets die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.
Dr. Wolfgang Meurer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Rechtsanwaltskanzlei Dr. Meurer, Meurerstraße 33, Hückelhoven-Ratheim
zurück zur Übersicht... |