BGH: Keine Amtshaftung bei Stromkabelschaden durch Straßenbauar-beiten
BGH: Keine Amtshaftung bei Stromkabelschaden durch Straßenbauarbeiten
Von Seiten der öffentlichen Hand werden bekanntlich häufig Straßenbauarbeiten in Auftrag gegeben. Kommt es dann zu einem Schaden, so stellt sich die Frage, ob Ansprüche des Geschädigten sich gegen das Privatunternehmen oder gegen die öffentliche Hand richten. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. Mit einem derartigen Fall hatte sich kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 13.04.2023 - III ZR 215/21) auseinanderzusetzen.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Bauunternehmen (U) wird mit der Montage neuer Schutz- bzw. Leitplanken beauftragt. Bei Rammarbeiten beschädigen Mitarbeiter des U ein erdverlegtes Stromkabel. Dies führt zu einem Stromausfall und Produktionsstillstand in einem Asphaltmischwerk. Dessen Betreiber macht gegenüber U Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB geltend. Das Landgericht weist die Klage ab, das OLG verurteilt U zur Zahlung. U legt Revision ein.
Die Revision wird zurückgewiesen. Das OLG habe zu Recht eine Haftung des U angenommen; ein Fall der Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG liege nicht vor. Die Mitarbeiter des U hätten bei der Montage der Schutzplanken nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amts gehandelt. Entscheidend sei, ob die eigentliche Zielrichtung, in deren Sinn der Schädiger tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als dem Bereich hoheitlicher Betätigung zugehörig angesehen werden müsse. Auch Private könnten „Amtsträger" im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dafür sei erforderlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe besteht und dass die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes „Werkzeug" bzw. „Erfüllungsgehilfe" des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss. Bei der Montage von Schutzplanken als Maßnahme der Verkehrssicherung handelt es sich zwar um die Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe, dieser Charakter steht aber bei einer solchen Maßnahme der „Daseinsvorsorge" im Hintergrund. Eine Nähe zur Eingriffsverwaltung sei (anders als bei der Verkehrslenkung) nicht festzustellen. U sei ein relevanter eigener Entscheidungs- bzw. Ausführungsspielraum zugekommen (funktionaler Charakter der Leistungsbeschreibung, keine vorgegebene Detailplanung für die Rammarbeiten etc.).
Fazit: Die Abgrenzung zwischen privater Unternehmerhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB und der für diesen „haftungsbefreienden" Staatshaftung erfolgt durch eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall. Der Senat spricht von einem „beweglichen Beurteilungsraster", in dem das (recht abstrakte) Merkmal eines inneren und äußeren Zusammenhangs zwischen hoheitlicher Aufgabe und Schädigungshandlung bedeutsam ist. Vorliegend hat er zu Recht schon den Charakter als hoheitliche Aufgabe mit gewissermaßen „reduzierter Hoheitlichkeit" betont. „Griffiger" ist das weitere Kriterium, das sich mit „Autonomiegrad" beschreiben ließe. Der Private kann sich im Spektrum zwischen vollends weisungsgebundenem und detailgelenktem „Werkzeug" und weitestgehend frei entscheidendem und agierendem Akteur bewegen. Überschreitet er dabei eine einzelfallspezifische Eigenständigkeitsschwelle, tritt er unter der schützenden Hand des Hoheitsträgers hervor und haftet nach deliktsrechtlichen Maßstäben selbst.
Dr. Wolfgang Meurer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Rechtsanwaltskanzlei Dr. Meurer, Meurerstraße 33, Hückelhoven-Ratheim
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